In den 60er Jahren
existierte die Technik noch nicht, um den Apollo
Steuerungscomputer herzustellen.
Damit einher geht eine allgemeine
Diskussion um den Stand der Technik, die der NASA in den 60ern zur Verfügung
stand. Da seit Apollo sich die Leistungsfähigkeit der Computer enorm vervielfacht
hat, wird dieses Thema manchmal eigenständig behandelt.
Genau so wie mit dem allgemeinen Stand der Technik versuchen Verschwörungstheoretiker,
die Verfügbarkeit und die Komplexität der modernen Computertechnik
mit der zu vergleichen, die der NASA zur Verfügung stand. Hersteller
von Rechnern aus den 50er und 60er Jahren mussten ihre Produkte für
Kunden aus Wirtschaft und Wissenschaft konzipieren - zu bezahlbaren und
günstigen Preisen für vielfältige, allgemeine Anwendungen. Die NASA dagegen
musste nur ein einziges Problem lösen - die Steuerung - und sie konnte sich
bequem ein für sie speziell entwickeltes und gebautes System erlauben, das
den letzten Stand der Technik repräsentierte.
Heutzutage könnten wir, wenn wir es wollten, Fahrzeuge produzieren,
die sehr effizient mit ihrem Kraftstoff umgingen. Sie würden hunderttausende von
Kilometern ohne regelmäßige Wartung oder einen mechanischen Schaden zurücklegen.
Unglücklicherweise würde solch ein Fahrzeug gut und gerne über 1 Million EURO
kosten und stünde deshalb außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der meisten
Käufer. Als Konsequenz daraus bleibt der Stand der Technik hinter dem zurück, der
verfügbar wäre, wenn die Kosten keine Rolle spielen würden.
Die Frage lautet also nicht, welche Computermodelle aus den
Hochglanzbroschüren
von IBM zur Verfügung standen, sondern vielmehr, über welche Computermodelle
die NASA mit ihrem
nahezu unerschöpflichen Budget verfügen konnte.
Der Apollo Steuerungscomputer
besaß die Leistungsfähigkeit einer heutigen Küchenmaschine, somit sehr
viel weniger als benötigt wird, um zum Mond zu gelangen.
Es ist belustigend, dies von Menschen zu hören, die vor ihrem Multi-Gigahertz
Computer sitzen und sich nicht vorstellen können, dass auch weniger
leistungsfähige Maschinen für viele Anwendungen nutzbar waren. Dies ist ein
gutes Beispiel für eine mentale Technik-Falle. Menschen glauben, weil wir
heute eine bestimmte Technik benutzen, um ein Problem zu lösen, dass
eben dieses Problem nicht lösbar war, bevor diese Technik zur Verfügung stand.
Tatsächlich flog John Glenn ohne irgendeinen Bordcomputer
in seiner Raumkapsel zu einem Erdorbit. Schon die Flugbahn wurde präzise
kontrolliert und seine Kapsel konnte - wenn notwendig - vollständig automatisch
gesteuert werden. (In Wahrheit war der ursprüngliche Entwurf für eine
vollautomatische Funktion vorgesehen, aber die Astronauten verlangten die
Möglichkeit, die Kapsel selbst zu steuern.)
Bisher war noch kein Verschwörungstheoretiker in der Lage, exakt
abzuschätzen, welche computertechnischen Aufgaben benötigt wurden, um zum
Mond zu gelangen. Zu erklären, dass ein Computer aus den 60er Jahren mit den
heutigen nicht verglichen werden könnte, ist eine Sache. Eine andere ist es
jedoch zu behaupten, dass die Computer aus den 60er Jahren die Aufgaben
nicht erfüllen konnten, für die sie konstruiert waren. Der
Verschwörungstheoretiker behauptet das letztere, liefert jedoch nur
Beweise für das erste. Um argumentieren zu können, dass der
Steuerungscomputer seinen Aufgaben nicht gewachsen sein konnte, muss man
zunächst seine Aufgaben beschreiben und dann seine speziellen Defizite
in Hinblick auf diese Anforderungen aufzeigen.
Selbst die
Simulation
einer Mondlandung benötigt Dutzende von Megabytes. Um die wirkliche Aufgabe
zu bewältigen, würden viel
mehr benötigt.
Das ist die typische Versuch eines Computer-Analphabeten, den
Steuerungscomputer mit seinen eigenen Anforderungen zu vergleichen. Da die
Verschwörungstheoretiker kaum in der Lage sind, sich kompetente Gedanken
über das Problem der Steuerung während einer Reise im Weltraum zu machen,
wählen sie ein Problem aus, von dem sie glauben, es sei
ähnlich (z.B. ein Lunar Lander Spielhöllen-Programm) den Anforderungen, die
sie zu kennen glauben.
An diesem Argument sind jede Menge Aspekte falsch. Zunächst einmal
verbraucht die Simulation einer Mondlandung prinzipiell keinesfalls große
Mengen an
Rechnerkapazität. Dies geschieht nur auf heutigen PCs, aber auch nur in
dem Sinne, dass schon irgendeine beliebige Aufgabe viele Ressourcen bindet.
Das liegt daran, dass diese schwergewichtige Universal-Betriebssysteme
haben, von denen erwartet wird, dass sie allen möglichen Schnickschnack mitbringen.
Einige der ersten Programme auf kleinen Minicomputern der 60er und 70er
waren einfache einachsige Mondlande-Spiele, so auch eines für die PDP-8 von
DEC (Abb. 7), einem Computer, der ähnliche Fähigkeiten wie der von Apollo
besaß. Sicherlich war die Darstellungskraft der Spiele wegen der
fehlenden dreidimensionalen Grafik und realistischen Soundeffekte (Abb.
1)
mangelhaft, aber
sie zeigten sehr gut die grundsätzlichen phsikalischen Verhaltensweisen.
Weiter unten wird der Unterschied zwischen einem Computer für allgemeine und
dem für spezielle Aufgaben näher erläutert.
Die gefühlsmäßige Vorstellung, dass reale Dinge anspruchsvoller seinen
als deren Simulation, ist falsch. Die Simulation soll nicht nur das
Verhalten des Objektes nachbilden, sondern muss programmtechnisch auch seine
Umgebung erzeugen, z.B. externe Einflüsse wie die Gravitation. Der Apollo
Steuerungscomputer brauchte die lunare Umgebung nicht als Teil seines
Programmes nachbilden; er war mittendrin in der lunaren Umgebung.
Wenn in einer funkelnden und blitzenden Landesimulation ein Schalter
betätigt werden
muss, bedeutet dies, dass mit einer Mausgeste ein Icon auf dem Bildschirm
angeklickt werden muss. Das Programm enthält den Code, um das Icon zu
erstellen, zu verändern, die Bewegungen der Maus zu interpretieren und in
die gewünschte Verhaltensänderung des Programmes zu überführen. All dies
braucht der
echte Steuerungscomputer nicht. Der Pilot legt einen Schalter um und das
entsprechende Computer-"Bit" wird durch elektronische Schalter
innerhalb der Elektronik gesetzt oder gelöscht.
Computer
Chips waren 1969 noch gar nicht erfunden, so dass es überhaupt keine
Möglichkeit für die NASA gab, die Apollo Computer zu bauen.
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Fig. 2 -Jack Kilby's erste integrierte Schaltung,
1959. (mit freundlicher Genehmigung von CNN)
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Es hängt davon ab, was Sie mit "Computer Chip" meinen. Ein
heutiger preiswerter Mikroprozessor der Intel Pentium Serie besitzt
Register, Speicher-Cache, Prozessoren für Fließkommaarithmetik und eine
Grafikbeschleunigung, die bereits im Chip integriert sind. Vor nicht allzu
langer Zeit mußten solche zusätzlichen Funktionen mit zusätzlichen externen
Schaltkreisen realisiert werden. Es war in der Tat ein großer Durchbruch,
eine komplette CPU innerhalb eines Chips zu vereinen, aber einfache
integrierte Schaltungen waren schon Anfang 1960 verfügbar, aus denen man eine
komplette CPU aufbauen konnte.
In Geschäften für Elektronik Bastler sind Bausätze mit einfachen
integrierten Schaltungen erhältlich. Mit Geduld lassen sich selbst aus
solchen "primitiven" Schaltkreisen wie z.B. einem NOR Gatter mit 3 Eingängen
einfache Computer zusammensetzen. Solche Aufgaben werden in der Tat häufig
den Klassen für fortgeschrittenen Computerentwurf in einem College gestellt.
Solche Schaltungen sind keine "Computer
Chips" in dem Sinne, dass sie einen Computer in einem einzigen
Schaltkreis enthalten, sondern vielmehr in dem Sinne, dass aus ihnen ein
Computer
aufgebaut werden kann.
Jack Kilby (Texas Instruments) genießt den Ruhm, dass er 1959 das
Patent erhielt für die erste miniaturisierte Schaltung, die in einer
einzigen Einheit vereinigt wurde (Abb. 2). Robert Noyce von Fairchild Camera
and Instrument
Corporation (später: Fairchild Semiconductor) wurde im selben Jahr ein
Patent für eine integrierte Schaltung aus Silizium erteilt. Nach einigen
juristischen Auseinandersetzungen entschieden die Unternehmen, sich
gegenseitig Lizenzen für die Erfindungen zu erteilen.
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Fig. 3 -Ein Exemplar der integrierten Schaltungen eines IBM System/360,
ca. 1964.
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Fairchild brachte 1961 einen kommerziell verfügbaren integrierten
Schaltkreis auf den Markt, ein
SR flip-flop. Der Rest der integrierten Schaltungen der RTL Produktlinie
erschien ein Jahr später. Bis 1963 hatte das Unternehmen die Größe der
Gatterstrukturen halbiert. Philco produzierte die ICs für Apollo in der
gleichen Strukturgröße und verbesserte sie bis 1966. Beginnend in den frühen
60ern benutzten alle neuen Computerentwürfe diese integegrierten
Schaltungen.[Hall96]
RCA führte 1965 den Spectrum 70 Computer ein, in dem integrierte
Schaltungen von Fairchild benutzt wurden. IBM kam mit dem System/360 auf den
Markt, das verkleinerte Dioden und Transistoren besaß, die auf mikroskopisch
kleinen Leiterplatten montiert waren, eine hauseigene Version einer
integrierten Schaltung (Abb. 3). Das System/360 (siehe unten) war über ein
Jahrzehnt lang das Arbeitspferd für die Unternehmen, die kommerziell
Computer einsetzten.
Computer in den 60er Jahren
waren riesige, schwere Maschinen, die ganze Räme in klimatisierten Gebäuden belegten.
Einige waren es und andere waren es nicht. Die leistungsfähigsten Computer der
damaligen Zeit waren riesig und nahmen ganze Räume ein (Abb. 4,5). Aber das trifft auch
noch für die leistungsfähigsten Computer der heutigen Zeit zu (Abb. 6). Der Apollo
Steuerungscomputer musste nicht besonders leistungsfähig sein, nur zuverlässig und
seiner Aufgabe angemessen. In den 60er Jahren wurden verschiedene kleine Computer entwickelt
(Abb. 7). Sie unterschieden sich, was Größe und Leistung angeht nicht sonderlich
vom Apollo Steuerungscomputer.
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Abb. 4 -Die Bedieneinheit und einige periphere Einheiten des IBM System/360 Modell 30.
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Abb. 5 - Der Whirlwind-Computer, ein großer
Supercomputer der 50er und 60er Jahre. Er wurde für die strategische
Luftverteidigung eingesetzt und konnte Videos in Echtzeit abspielen. Der
letzte Whirlwind-Computer wurde 1983 abgeschaltet.
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Abb. 6 -Ein moderner Supercomputer des Jahres 2001. Eines
von 4 Racks, die die Ausstattung des MCR Supercomputer Clusters für
das U.S. Energieministerium bilden.
(Lawrence Livermore National Laboratory)
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Die Entwicklung des IBM System/360, des leistungsfähigen Mainframes der
60er Jahre, war das zweitteuerste Entwicklungsprojekt der Ingenieure
dieses Jahrzehnts, das teuerste war das Apollo Projekt selber. Der Punkt
ist, daß die leistungsfähigsten Computer der Welt immer eigene
Computerräume benötigten und eine enorme Menge an elektrischer Energie
brauchten. Die Existenz solcher Dinosaurier bedeutet nicht, daß kleinere
Computer nicht möglich sind, weder im Jahre 2001 noch 1965.
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Abb. 7 -
Die DEC PDP-8, ein bekannter Minicomputer der späten 60er und frühen
70er Jahre. Die gelbe Umrandung markiert den Prozessor selber.
Die Komponenten darüber sind Festplattenlaufwerke, die in einem System mit
fest definierten Aufgaben nicht benötigt werden.
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Erinnern wir uns daran, daß der Apollo Steuerungscomputer keinesfalls ein
Computer für allgemeine Anwendungen war. Auf ihm konnten keine Spiele oder
Tabellenkalkulationen laufen, auch nicht Lohnlisten erstellt werden oder die
Inventur eines Lagers mit Hilfe einer Datenbank. Er mußte lediglich für die
Navigation der Raumkapsel zum Mond sorgen. Es wurden ebenfalls keinerlei
Drucker,
Diskettenlaufwerke, Bandlaufwerke, Kartenleser oder Lochkarteneinheiten
benötigt. Und somit war er ein hübsch sclanker kleiner Computer.
Es wäre wohl ein wenig übertrieben, wenn das Apollo Steuerungssystem
als Computer bezeichnet würde. Es ähnelt mehr dem, was wir heutzutage als
Mikrocontroller oder vielleicht auch digitalen Autopiloten bezeichnen. Das
meiste der Rechenarbeit wurde in der Mission Control auf mehreren Mainframes
geleistet. Die Ergebnisse wurden in den Apollo Steuerungscomputer
übertragen, der damit weiterarbeiten konnte. Der Computer an Bord von Apollo
hatte nur für eine geringe Anzahl navigatorischer Probleme eine ausreichende
Rechenleistung.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Computern, die für
den allgemeinen Gebrauch oder für die digitale Steuerung, wie sie für die
Raumfahrt gebaut werden, vorgesehen sind. Computer für allgemeine
Anwendungen müssen einen vernünftigen Preis haben, damit genügend von ihnen
verkauft werden und sich daraus ein profitables Produkt ergibt. Das
bedeutet, dass sie größer sein und mehr Energie verbrauchen dürfen, wenn sie
dadurch günstiger produziert werden können. Computer in der Raumfahrt müssen
klein und leicht sein, selbst wenn dadurch ihre Herstellung enorm teuer wird.
Der Hersteller eines vielfältig benuztbaren Computers kann nicht
wissen oder sich darum
kümmern, wofür der Kunde diesen benutzen möchte. Das erfordert, dass ein
Computer mit möglichst viel RAM Speicher ausgerüstet wird, der jedes
Programm aufnehmen kann, das der Kunde laufen lassen möchte. Da viele
Systeme, wie z.B. das IBM System/360, als time-sharing Systeme
entwickelt wurden, war es notwendig, dass sie die Fähigkeiten besaßen,
Programme
schnell und einfach zu wechseln. Aber Steuerungssysteme brauchen nur ein
einziges Programm laufen lassen. Somit ist es das Beste, es in
einer Art von ROM zu speichern und nur soviel RAM zur Verfügung zu stellen,
um temporäre Ergebnisse der Steuerungsberechnungen speichern.
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