Eines der grundlegensten Prinzipien der wissenschaftlichen Beweisführung
und Recherche ist als Occams Razor bekannt geworden. Benannt nach dem Logiker
Wilhelm von Ockham (engl. William of Occam), der im 14. Jahrhundert lebte, ist
es das Prinzip, das die am wenigsten komplizierte unter zwei oder mehreren
möglichen Erklärungen für eine Beobachtung favorisiert. Unnötig
zu erwähnen, dass die meisten Verschwörungstheorien dieser Regel nicht
gerecht werden.
In der Praxis wird Occams Razor dazu verwandt, Elemente aus Theorien
auszusondern, die nicht beobachtet werden können. Einstein
beispielsweise beschreibt die Raumzeit in der Speziellen
Relativitätstheorie. Lorentz hatte die Theorie aufgestellt, dass
Raumzeit-Fluktuationen von Bewegungen durch den "Äther" verursacht
werden. Allerdings lässt sich Lorentz' Äther nicht beobachten,
obwohl seine Berechnungen zu den gleichen Ergebnissen wie die Einsteins
kommen, also stellen sie ein unnötig kompliziertes Modell dar.
Dies beweist nicht, dass Einstein recht und Lorentz unrecht hat, aber
da Einsteins Modell wesentlich schlanker ist, ist es wahrscheinlicher,
dass es in Anbetracht der vorliegenden Beobachtungen korrekt ist.
Verschwörungstheorien führen im Allgemeinen zum Gegenteil
von Occams Razor. Das heißt, dass Verschwörungstheoretiker,
wenn sie Beobachtungen erklären, oft wesentlich komplizertere
Erklärungen einbringen, als die allgemein angenommenen. Ihre
Schlussfolgerungen verlangen oft von uns, dass wir an zusätzliche
Voraussetzungen in Form von Ereignissen oder Faktoren glauben, für
die es selten einen direkten Beweis gibt. Occams Razor verlangt von
uns eindeutig, dass wir Erklärungsvarianten verwerfen, die die
Existenz unbeobachteter Phänomene implizieren.
Sowohl die NASA als auch die Verrschwörungstheoretiker bieten
Erklärungen für die beobachtbaren Phänomene an. Aber
einige der Apollo-Verschörungstheorien verlangen von uns, an Dinge
wie NASA-Todesschwadronen oder streng geheime Filmstudios an abgelegenen
Orten zu glauben. Für keines von beiden existieren direkte Beweise.
Die Möglichkeit, dass diese Dinge -- sofern es sie gibt -- eine
Erklärung für die Beobachtungen der Verschwörungstheoretiker
darstellen könnten, ist kein Beweis dafür, dass diese
Dinge tatsächlich existieren.
In größerem Umfang betrachtet, haben
Verschwörungstheoretiker oft eine aufwändige Erklärung
für eine Fotografie oder Aussage und eine andere völlig
unterschiedliche, aber genauso komplizierte Erklärung für
das nächste Foto, und so weiter. Diese bruchstückhaften
Theorien fangen schnell an, sich zu widersprechen. Und man
erhält unterschiedliche Erklärungen, je nachdem, welchen
Verschwörungstheoretiker man fragt.
Es ist nicht suspekt, dass verschiedene Verschwörungstheoretiker
verschiedene Meinungen haben. So funktioniert Forschung. Es wird allerdings
ernst, wenn die Theorie eines Verschwörungstheoretikers
in ihrer Gesamtheit betrachtet, sich als ein riesiges Gebilde aus
gegenstandsloser Spekulation herausstellt. Anstatt des typischen Prozesses,
alle Möglichkeiten zu betrachten und zu entscheiden, welche davon am
meisten Sinn ergibt, benutzen die Verschwörungstheoretiker eine
Denkmethode, die zuerst einmal die Existenz der Verschwörung voraussetzt.
Dann folgen sie jedem noch so verschlungenen Pfad, der notwendig ist, damit
sie zu diesem Schluss gelangen.
Die daraus resultierende Beweisführung kann durchaus hieb- und
stichfest erscheinen. Der Leser kann den Argumenten von den grundlegenden
Prinzipien bis hin zur Schlussfolgerung folgen. Allerdings vergisst er dabei
oft, sich zu fragen, ob diese Argumentationslinie die einzig mögliche
darstellt und ob die Argumentation des Verschwörungstheoretikers vom
Leser verlangt, an Nebenbedingungen zu glauben, für die es keinerlei
Beweis gibt.
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